Seite auswählen

Landschaften am Fluss

Das Zickzack- Strickmuster der Rebenreihen an den Hängen begleitet uns jetzt seit zwei Tagen, Zwischen ihnen bahnt sich der große Strom seinen Canyon in langgezogenen Bögen.

Güterzüge donnern beidseitig des Flusses durchs Tal. Große Kähne, beladen mit Kies, Gastanks oder Schaulustigen mühen sich Meter für Meter flußaufwärts oder überholen uns auf ihrer Fahrt in Richtung Norden.

Mal ist ein schmaler, durch eine dicke weiße Linie abgetrennter Streifen der Bundesstraße 9 unsere Route, mal ein holprig kiesiger oder glatt geteerter Treidelpfad direkt am Ufer.

Rhein bei Nierstein

Rhein bei Nierstein



Das prachtvolle Bild dieses Rheinabschnitts, selbst mit den dunklen Wolken die sich über die Burgzinnen auf den Gipfeln schieben, ist sicherlich das eindrucksvollste der Reise. Und wenn die Sonne für einen Moment aus dem grauen Schleier hervorschaut und den nassen Asphalt funkeln lässt, scheint es der Flussgott selbst, der sich an den Straßenrand setzt und uns mit einem Becher Riesling zuprostet.
Hier im mittleren Rheintal, dem klassischen Weinstock- und Burgenromantikrhein, das zwischen Rüdesheim und Koblenz auf 67 Flusskilometern zum Weltkulturerbe erklärt ist, haben wir fast das Ziel unserer dreiwöchigen Rheintour erreicht. Wir haben 800 Kilometer auf dem Tourenzähler und das Deutsche Eck, die Moselmündung in den Rhein bei Koblenz, ist nicht mehr weit.
Die Mosel mündet bei Flußkilometer 592 in den Rhein. Gestartet waren wir, meine Frau Katrin und ich, fast drei Wochen und 14 Etappen zuvor bei Kilometer 0, in Konstanz, dort, wo der Rhein den Bodensee verlässt.

In Konstanz am Bodensee

In Konstanz am Bodensee

Der Rhein hat seitdem vielfach sein Gesicht verändert, war mediterranes Segelrevier am Oberen See, schmales Wildwasser am Hochrhein, hat mächtige Staustufen passiert, Wasserkraftwerke angetrieben, verlief plätschernd in seichtem Kiesbett, während sein Parallelarm hinter mächtigen Dämmen verborgen der Schifffahrt diente. Er fiel rauschend in die Tiefe bei Schaffhausen, trennte hier Deutschland von der Schweiz, dort Frankreich von Deutschland, hatte stille, paradiesisch mäandernde Altarme, wurde von kilometerlangen Brücken überspannt und war bei Basel, Karlsruhe und Ludwigshafen (und Worms und Mainz, etc.) von riesigen Industrieanlagen gesäumt.

Meist alle zwei Etappen (etwa 100 Kilometer) veränderten sich das Bild des Flusses und der Charakter der Landschaft, die vom Rhein in Millionen Jahren geprägt und vom Menschen in 2000 Jahren gestaltet wurde.
Auch der stete Wandel der durchquerten Landschaft machte die Rheintour zu einem abwechslungsreichen, besonderen Erlebnis und den Rhein zum idealen Fluss für eine Fahrradtour. Gern wäre ich sogar in den Hochalpen gestartet und hätte mich erst in Hoek van Holland müde und glücklich am Nordseestrand am Ziel gewusst. Wenn mir mal 6 Wochen langweilig ist. Oder ein Gepäcktransporter nebenher fährt.

Pause am Hochrhein

Pause am Hochrhein

Navigation: GPS und Topokarte

Für mich ist es die erste Radttour einer neuen Zeitrechnung: paperless bliss, sozusagen. Ganz ohne jegliches gedrucktes Kartenmaterial. Kein Hin- und Herfalten, keine zerfletterten Kartenteilstücke, wenns mal nass wird. Allein GPS mit Topokarte halfen uns, wo wir mehr wissen mussten, als die Schilder uns verraten wollten.
Die Route am Rhein ist in allen Abschnitten sehr gut ausgeschildert und letztendlich geht es ja immer am Fluss entlang, also so richtig verfahren geht kaum. Okay, wir haben auch das geschafft. Aber das ist selbst mit Karte auch immermal passiert.
Eine individuelle Route wäre ohne Zielführung allerdings nicht möglich gewesen. Allein die lückenlose Ausschilderung der Rheintour, mit Ausnahme der französischen Seite durchgehend an beiden Ufern, ausgestattet mit großen Übersichtstafeln an Kreuzungspunkten, erlaubten diese einfache und sorglose Navigation. Und eine gute Vorbereitung zu Hause. Von allen Campingplätze entlang der Strecke hatten wir die Koordinaten dabei.

Völlig planlos waren wir letztendlich nur in Frankreich, wo wir ohne Topokarte und ohne gute Radwegausschilderung auskommen mussten. Eine Straße nämlich, die in Deutschland „aus dem Rhein raus“ kommt, muss noch lange nicht in Frankreich auch in den Rhein rein gehen. Jedenfalls nicht genau gegenüber. Hier gab es das Mittelinseldilemma. Einen schiffbaren Rheinarm auf französischer Seite, einen aufgestauten Rheinarm auf deutscher Seite, dazwischen eine langgezogene Insel, die über zwei Wehre mit dem Ufer verbunden ist. Von Frankreich kommend aber 4 Kilometer weiter nördlich, als die Verbindung nach Deutschland. So standen wir dort und sahen den hinteren Teil der angesteuerten Brücke, Luftlinie 300 Meter, hatten aber unsere Jesusreifen nicht aufgezogen. Die 8 Kilometer auf Kies in Körnung „ tres grob“ mit unserer Beladung dauerten eher eine Stunde, als eine halbe. Nun denn, Weg = Ziel und Fluss = schön. Diese Ecke jedenfalls kannten wir dann sehr genau.

In den Rheinauen bei Karlsruhe

In den Rheinauen bei Karlsruhe

„Bad Bellingen noch 12 Kilometer Luftlinie, Neuenburg 23, welchen nehmen wir?“ So sah meist die nachmittägliche Verhandlungsrunde des Etappenziels aus.
Allerdings lernten wir schnell, was der Unterschied zwischen Luftlinie und gefahrener Strecke ausmachen kann. 5 % dort wo der Rhein kanalisiert ist und die Strecke auf dem Damm oder auf dem Treidelweg verläuft. Der Treidelweg ist ein Weg parallel zum Flussufer, auf dem früher die Schiffe von Pferden gezogen wurden. Diese Verlaufen in einigen Abschnitten schnurgerade, 10 Kilometer kreuzungsfrei.
Andernorts konnte die gefahrene Strecke aber auch das dreifache der Luftlinie betragen. Dort nämlich wo der Weg sich durch die weiten Flussauen schlängelt, die von zahlreichen Kanälen durchzogen sind und als Rückhaltebecken für Hochwasser dienen.
„8 Kilometer Luftlinie bis Speyer“ „Ah super, dort ist auch ein Schild, noch 25 Kilometer bis Speyer!“ Da aber der Weg das Ziel ist, nahmen wir jede Flussschleife mit und weigerten uns dem Bundesstraßenschild, das 11 Kilometer anzeigte, zu folgen. Diese Entscheidung wurde durch wunderschöne Strecken abseits vom Autoverkehr durch Obstplantagen und Wildblumenwiesen belohnt.

Der Rhein bei Worms

Der Rhein bei Worms

Es gibt kein schlechtes Wetter

Mit dem Wetter hatten wir im Großen und Ganzen Glück. Wir hatten zwei Regentage, an denen wir fuhren, dabei sogar recht gut voran kamen, da Pausen wenig attraktiv waren und die Temperatur erträglich. Zwei Regenpausentage hatten wir, an denen wir Basel und Konstanz besichtigten, bzw. die Basler Cafés und das Konstanzer Kino. Die heißen Tage machten uns mehr zu schaffen. An drei Tagen stieg das Thermometer auf über 35°, an zweien davon fuhren wir. Früh raus und bis mittags Strecke machen, ab 6 Uhr abends dann nochmal für zwei Stunden aufs Rad. Und viel, viel trinken. So ging’s. Oder zwischendurch mal in einen der zahlreichen Baggerseen am Streckenrand springen. Selbst im Rhein badeten einige. Hinter Basel lud mich das Wasser allerdings nicht mehr zum Schwimmen ein. „Sandoz – Sandoz!“ flüsterte mir irgendetwas ein, sobald ich die Wasserqualität für ein mögliches Bad prüfte.

Am Ziel in Koblenz

Am Ziel in Koblenz

dfdc, ivalo mit Gazelle

Ja, auch unserem lieben Hobby konnte ich im Urlaub nachgehen. Da danke ich Katrin, dass sie sehr nachsichtig mit mir war. Ich hab es aber auch nicht übertrieben. Mancher Zielpunkt ist an uns vorbeigezogen, bloß weil er auf der falschen Straßenseite lag oder ich das Wort „Kaffee“ in ihren Augen lesen konnte. Dafür gab es aber auch keinen bösen Kommentar, wenn ich ganz plötzlich an einer Leitplanke mal „Stop!“ gerufen habe.
Auch hier war zuhause eine akribische Vorbereitung notwendig. Als map60-Nutzer konnte ich 500 Wegpunkte laden. Welche Strecke wir letztendlich fahren würden, wusste ich da noch nicht. So konzentrierte ich meine Abfragen vor allem auf die größeren Orte, durch die wir kommen wollten. Wählte nur Tradis, höchstens 2/2- Schwierigkeit, als Merkmal fahrradtauglich und zeckenfrei, wegen süddeutschem Zeckenrisikogebiet. Dass da in der Regel wenig Hightlights dabei waren, war klar, aber nicht so schlimm.
Immerhin sind es 50 geworden und einige davon waren wirklich besonders. Die Gazelle hat’s gefreut, dort ist die Rheinstrecke jetzt wunderbar zu verfolgen.

Und nächstes Jahr? Elbe? Donau? Selbst die Ruhr soll einen schönen Radweg haben!