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Das Logbuch

Das Logbuch

Das ist auch mein Log. Ich habs in einem attend und drei Notes gepostet – nicht unbedingt leserfreundlich. Deshalb hier noch einmal: Das war mein, das war unser Ulm.

Der Himmel ist weit und finster. Einer sagt, „Da sind Sterne.“ Ich glaube ihm nicht. Ich glaube, die Ulmer haben Lichtpunkte hineingehängt, so wie sie mit Kerzen und Fackeln den Treppen und Wällen helle gelbe Tupfer spendierten. „Über den Wolken“ singt der Gitarrero von der Bühne. In der kommenden Stunde wird er immer wieder versuchen, das Instrument bei Seite zu legen und immer wieder werden ihn die von Bier und Begeisterung Befeuerten mit sanftem Druck davon überzeugen, dass da noch einer geht. An der grasglatten Schräge hinauf zum Feuer steht unentschieden ein Mann mit Cargohosen und dunkler Jacke, einen Fuß setzt er zaghaft in den aufgeweichten Rasen und rutscht ab. Eine Frau in roter Regenjacke reicht ihm die Hand und schon ist er oben, am wärmenden Feuer. Noch bis spät in die Nacht raucht es in den Himmel, murmeln Gespräche durch das Dunkel, klirren die Bierflaschen. Noch bis spät in die Nacht wuseln Gestalten an den Tischen vorbei und sammeln ein, was am Morgen das Auge stören könnte. Noch bis spät in die Nacht hält das Glücksgefühl an.

Am Tag zuvor: Ulm begrüßt uns mit Regen. Die Backsteine schimmern rot, die silberne Kärtchen mit Fort-Talern werden auch jetzt, kurz vor Mitternacht, noch verkauft. Als wir die Taler umsetzen in Bier und Wasser folgt die erste fantastische Begegnung dieses Events – spike05 erkennt uns, nimmt uns an die Hand und wir genießen unsere erste Fortführung. Hinter den engen Gängen des Pulverlagers finden wir den rot-goldenen Raum mit Vitrine und Schatztruhe und dem Thron der Coin-Queen. Wir loggen unsicher in beiden Logbüchern, die Spitze der Schreibfeder wackelt dazu.
Im Zelt am Eingang geht es nun Schlag auf Schlag, Team Noris, theped, Aeon und all die anderen… ich werde nur wenige Namen nennen können, dafür bin ich zu sehr Schreiberling, als dass ich lange Aufzählungen lieben könnte und bitte in aller Form dafür um Verzeihung.
Grüner Baum setzt sich zu uns. Wie all die vielen Ulmer, die wir noch treffen, strahlt er die ruhige Fröhlichkeit der Organisatoren aus. Wie später auch die anderen erzählt er ohne Hatz und ohne sich wichtig zu machen, dabei haben sich er und all die anderen hier – soviel deutet dieser Abend schon an – jeden Respekt verdient. Das Organisationsteam hat Ulm zu einem Begriff gemacht, den keiner der Anwesenden so schnell vergessen wird. Das kann kein Stadtmarketing-Verein, das kann keine Image-Kampagne.
Erst als die Kälte und das Wasser uns allzu tief an die Knochen dringen, bringen wir den Abend zu Ende und suchen uns einen Platz in den Katakomben. Die Isomatte landet auf einer Bierbank und als das erste Schnarchen ertönt, kann ich beruhigt die Augen schließen – ich bin nicht der Einzige, ich werde, da bin ich nun sicher, nicht vor die Tür getragen werden, zumindest nicht allein. Papa Fidibus schraubt die Kapsel seiner Ohrstöpsel auf und das metallische Knarzen ist das Letzte, das ich in dieser Nacht höre.

Um zehn vor acht endet die Nacht in Kalkgeruch und feuchter Luft. Ein Blick in die Runde, auch die anderen können schon aus den Augen gucken, vor der Tür lässt aba todesmutig kaltes Wasser über den Schädel laufen und wird dabei fotografiert. Ich stehe morgenmuffelig abseits, mag noch niemanden sprechen und während die Zigarrette verglüht, wünsche ich dem Fotografen einen Vogelschiss aufs Objektiv. Später wird er mich mit hartnäckiger Gelassenheit davon überzeugen, dass ich ungerecht war mit diesem Wunsch.
Beim Käsefrühstück dann wird es zum ersten Mal fassbar, das Ulm-Gefühl. Die lange ersehnte Begegnung mit der zauberhaften Berta und ihrem nicht minder grandiosen Sepp ist herzlich, wie erwartet und die beiden haben auch noch Michel aus Lönneberga dabei. Das ist kein Nick, sondern ihr Sohn und er leidet an einer Krankheit, die alle, außer den Eltern mit viel Humor begleiten: an der Pubertät. So schlimm allerdings kanns nicht sein, denn später steht er stundenlang mit Sepp und Berta am Stand und verkauft Coins als gäbs kein Morgen. Herr Zwischenmahlzeit macht das erste Foto – unsicher grinse ich ins Objektiv, während aba sympathisch Haltung bewahrt.
Es sei hier vorausgeschickt: Die unsichtbaren Hörer, all diejenigen, die nicht kommentieren, nicht twittern oder bloggen haben mir, haben uns in Ulm ein Gefühl dafür gegeben, was unsere Arbeit für sie bedeutet. Und weil ja gemeinhin niemand kommt und sagt, hey, ich find Euch richtig doof, wird sich der geneigte Leser, die geneigte Leserin nun schon denken können, dass wir aus dem freundlichen Plaudern kaum herauskamen. Jeder Weg von mehr als zehn Metern wurde zur Gesprächsallee, zur Fotogasse und zur „Sachmal-seid-ihr-nicht“-Autobahn. Und auch wenn das jetzt alles furchtbar eitel klingt – ich, nein, ich sag ruhig: wir haben es genossen. Eben weil wir nun nicht mehr mittwochs ins Dunkel hinaus senden, sondern weil wir nun einen Eindruck haben von Euch allen. Vielen Dank Euch allen mit denen wir Zeit verbringen konnten und seis auch noch so kurz, vielen Dank den Ulmern, dass sie den Rahmen geschaffen haben dafür.

Am frühen Nachmittag ist die Stimme zum ersten Mal im Eimer. Unsere einzige Chance ist ein Kurzausflug nach Ulm und während Herr Schlemmercacher zusammen mit anderen Helfern die Registratur wuppt, lädt uns Frau Schlemmercacher kurzerhand ins Schlemmermobil und wir landen im Land der schwäbischen Köstlichkeiten. Im Gang noch, dort, wo die Händler stehen, hören wir englische Brocken und können zuschauen, wie es aussieht, wenn Fotos gemacht werden mit der Dreifaltigkeit aus Übersee. Ups, sind die jung, denken wir noch und „gut in Form“, denke ich und gucke etwas neidisch auf meinen Bauch. Wir hoffen natürlich auf eine Gelegenheit, das Mikrofon zu zücken, vertrauen aber auf den Abend. Mit Frau Töse und Frau Schlemmercacher essen wir unweit des Münsters Maultaschen und Krautwickel und lassen kurz den Tag bis hierher sacken. Es ist schon später Nachmittag, als wir zurückkehren und das Mikrofon an jeden Cachermund halten, der nicht mit seinem Besitzer bei drei auf dem Baum ist. Lowrance erklärt uns die neuesten Geräte außerhalb der Garminwelt, Sepp und Berta zwingen wir zu ein paar Worten zum Coinverkauf und der Herstellung, Olaf von Cachezone zeigt uns einen Dosenfischer-Cache und JoFrie und die Fenix-Jungs hauen mächtig auf den Putz. Als wir JoFrie dabei zuschauen, wie er auf großer Bühne versucht herauszufinden, welcher Roboter ständig miniminminimini macht, knipsen uns NDR und ein paar andere den Puschel vom Mikrofon. Ein Zeugnis dessen gibts von NDR auf Twitter.

Als der Abend beginnt, machen wir uns noch einmal aus dem Staub. Diejenigen, die uns schon seit fast drei Jahren persönlich bekannt und entsprechend ans Herz gewachsen sind, haben uns eingeladen zum schwäbischen Essen, nach deftiger Küche kommen wir dann tatsächlich zu einem Interview mit Jeremy, Brian und Elias. Und was soll ich sagen – sie sind Profis durch und durch. Und doch denke ich heute, wir haben ein bisschen kitzeln können und wenigstens eine paar Dinge erfahren, die über den normalen Smalltalk hinausgehen. An diesem Abend jedenfalls treibt mein radebrechendes Englisch immer wildere Blüten, aba kommt kaum zu Wort – ich entschuldige mich auch hier nochmal dafür, wie schon im Gasthaus zuvor. Heute allerdings erscheint mir das Versäumnis noch größer, schließlich sind die Jungs ja nun wieder übern Teich gejettet und ich habe uns mit meiner One-Man-Show ein wenig die Chance versaut, noch ein paar Details zum Alltag und wie alles angefangen hat, herauszukitzeln. Aber nicht enden darf der Abend natürlich ohne einen letzten Cache, der liegt tatsächlich vorm Gasthaus und wir wundern uns, warum unsere drei Groundspeak-Gäste erst einmal falsch suchen – als die Gründer, so hatten wir irgendwie gehofft, müssten sie doch bereits wissen, wo jeder Cache liegt. Und dann, als wir den Deckel von der Dose heben, rumst ein Feuerwerk über den Ulmer Himmel. Wir loben den Owner für diese tolle Idee und fragen uns, wie er das hingekriegt hat. Auf der Heimfahrt schweigen wir uns an und wissen – das ist die mecklenburger Art zu schwärmen von diesem Ulm.

Wieder oben angekommen mischt sich in das Knirschen jedes Schrittes auf dem Weg hinab zum Fort eine Gitarre, die hallt wider von den Mauern und den Gewölben, zaghaft, ein Ton, dann noch einer, erst am Ende des Ganges erkenne ich: es ist Jethro Tull und als meine Augen sich an das Dunkel gewöhnen, zieht eine Cranach-Stimmung vor mir auf: Nur das Lucas noch keine Cargohosen und Schirmmützen auf seine Leinwände gemalt hat. An mehreren Feuern haben sich Runden gebildet, Gemurmel unterlegt die Musik, vereinzelt stehen Menschen allein und scheinen die Nacht aufzusaugen. Um uns herum schwärmt es noch – wir haben einen Dudelsackpfeifer verpasst, der effektvoll auf den Mauern erschien, wir sagen „Ja!“ und es ist nichts außer Licht, Musik, Silhouetten und diesem Ulm-Gefühl. Dann spinnen wir uns in die Nacht mit großen Plänen, wie es sein soll, das, was da noch kommt und als der Sänger lange schon die Stimme schonen darf, wird mir noch einmal der Kopf gewaschen. Dabei geht es um ein Lied und ein Versprechen und ich habs versaut. Mal schauen – aba sagt, er hilft mir, da wieder rauszukommen. Im Schlafsack ists warm und ganz früh morgens, als ich schon einmal vor der Zeit die Nase ins Freie stecke, hallt das Schnarchen aus unzähligen Mündern durch die Gewölbe und es klingt so tief, warm und voll, als atmeten kugelrunde Riesendrachen im Fort.

Der Aufbruchsmorgen fühlt sich wie ein Aufbruchsmorgen an. Schon so zwischen den Welten. Wir sehen die Ulmer mit Radladern, wir sehen sie Bänke schleppend und hören sie später am Megafon das Cito erklären. Mir behagt es nicht, gerade jetzt zu gehen, es scheint mir irgendwie nicht richtig und doch bleibt ja nichts. aba hat mitgezählt auf der Hinfahrt – 830 Kilometer wollen genommen sein und Montag, da will mich das Mittelalter radiologisch beschäftigen. Und Tante Hannah hatte ihre Geburtstagsfete und will schwärmen und Frau sandmann weiß nach diesem Wochenende, das familiär nur die Krönung eines äußerst beschäftigten Frühjahrs war, hoffentlich noch, wie ich aussehe. Nein, es kann da keinen Plan B geben. Also verabschieden wir uns von allen, die wir noch zu fassen kriegen, sehen mit Bedauern, dass es der falsche Moment ist, für ein Gespräch mit den Ulmern vor dem Mikrofon. Das passt nun wirklich nicht, merken wir – bei aller äußeren Gelassenheit, die – das kann gar nicht hoch genug geschätzt werden – alle Helfer hier in den Gesichtern tragen, auch heute noch. Wir beschließen, in ein paar Tagen, wenn der Rummel sich gelegt hat, noch einmal zu telefonieren mit der gut gelaunten Runde im Grünen Baum. Wir hoffen jedenfalls darauf.

Einen großen Teil der Fahrt schweigen wir wieder. Der geneigte Leser weiß schon – die mecklenburger Art zu schwärmen. In Wahrheit aber, kriegen wir nur einfach die Bilder nicht aus dem Kopf, die Frau in rot, die den Mann in der Cargohose den Berg hinan zieht, die Lichter auf den Wällen und Treppen und die Lichtpunkte im Himmel, von denen ich sicher bin, das sie Ulmer dorthin gehängt haben, als Sterne und als Krone für die Nacht.